Paris ist immer wieder Ort atemberaubender Grandezza, mit seinen stolzen Bauten, eleganten Avenuen und der majestätischen Seine, die einem Urstrom nicht unähnlich ruhig dahinfließt. Zugleich ist Paris aber auch Stadt poetischer Erinnerung. Zwischen den großen Gesten dieser Stadt, inmitten selbstbewusster Geschäftigkeit blitzen melancholische Bilder auf, die wie Sedimentspuren an das große Pariser 19. Jahrhundert erinnern. Nicht die eingängigen Momente politischer Geschichte sind gemeint, sondern vergangene alltägliche Rituale, Umgangsformen, Lebenshaltungen. Artige Kinder setzen in den Tuillerien kleine Schiffchen ins Wasserrondell, stolze ältere Damen im eleganten Kostüm begleiten steifgebürstete Pudel ums Eck, in den großen Cafés herrscht so etwas wie Etikette.
Es sind Relikte einer endgültig vergehenden Zeit. Anrührend schimmern sie hinter dem Treiben einer vitalen Großstadt, die um den Anschluss an das globalisierte Weltgeschehen bemüht ist. Dunja Barnes, die große Schriftstellerin der ‚lost generation’ und lustvolle Parisbewohnerin, bringt das stolze Selbstverständnis der Stadt in den 20er Jahren auf den Punkt: „Kein Mensch untersteht sich, eine feste Ansicht von Leben, Liebe oder Literatur zu hegen, ehe er in Paris gewesen ist.“ Die Erklärung dafür liegt auch heute noch gewissermaßen in der Luft.